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Altes Handwerk, Junge Handwerker – Altes Wissen

Altes Handwerk, junge Handwerker

An der Landwirtschaftlichen Fachschule Tamsweg wird den Schülern altes Praxiswissen neu vermittelt.

Sensenmähen, Zäune flechten und Besenbinden: An der Landwirtschaftlichen Fachschule Tamsweg weiß man den Wert traditioneller Handwerkstechniken zu schätzen und gibt dieses alte Wissen an die Schüler weiter. „Da geht es nicht um Nostalgie, das ist hochwertiges Handwerk“, erklärt Dipl.-Ing. Peter Rotschopf, ehemaliger Direktor der Landwirtschaftlichen Fachschule (LFS) Tamsweg. Die Landwirtschaft ist gekennzeichnet vom Druck auf Ertragssteigerung. Maschinen erscheinen oft effizienter und attraktiver als Handarbeit und sind aus dem Arbeitsalltag nur schwer wegzudenken. Viele alte Handwerkstechniken wurden durch den technischen Fortschritt aus der Landwirtschaft verdrängt. Negative Auswirkungen auf die Umwelt, die regionale Vielfalt und bäuerliche Familienbetriebe führen allerdings zu einem Umdenken.

Direktor Rotschopf beobachtet, dass man sich wieder stärker auf alte Prinzipien und Techniken besinnt, die für eine regional angepasste Landwirtschaft im Alpenraum lange Zeit prägend waren. Gerade Landwirtschaftliche Fachschulen, die bekannt sind für ihren praxisorientierten Unterricht, sind verpflichtet zur Vermittlung von traditionellen Handwerkstechniken.

„Wir wollen unsere Schüler animieren, stärker mit der Natur zu arbeiten und ihnen zeigen, welche Alternativen es gibt."

Dipl.-Ing. Peter Rotschopf
ehemaliger Direktor der Landwirtschaftlichen Fachschule (LFS) Tamsweg


Sensenmähen

Das Sensenmähen ist eines der klassischen Beispiele einer solch traditionellen Handwerkstechnik. Bereits vor mehr als zwei Jahrtausenden wurden Wiesen und Felder mit der Sense gepflegt. Traditionell wurden auf bäuerlichen Betrieben alle Flächen, auch Rand- und Grenzertragsflächen, wie etwa Steilflächen, Hutweiden und moorige Wiesen, genutzt, um so die vorhandenen Ressourcen voll auszuschöpfen. Eine vielfältige Bewirtschaftung sowie schonende Nutzung und Pflege aller Flächen scheitert heutzutage meistens nicht am hohen Arbeits- und Zeitaufwand, sondern vor allem am Druck auf Ertragssteigerung, der auf den Betrieben lastet, erklärt Direktor Rotschopf. So werden Flächen in der Regel nicht nach und nach, sondern mit Maschineneinsatz möglichst in einem Arbeitsgang gemäht. Auf die Bewirtschaftung von Grenzertragsflächen wird häufig ganz verzichtet.

Es gibt aber Bauern im Lungau, die derartige Flächen weiterhin pflegen – wenn auch mehr aus Idealismus denn aus wirtschaftlichen Gründen. Einer von ihnen ist Dipl.-Päd. Ing. Josef Ramsbacher, er ist Lehrer an der LFS Tamsweg. Wie er erzählt, hat er schon als kleiner Junge am elterlichen Bauernhof mit der Sense gemäht: „Mein Vater hat mich zum ‚Saugrasmähen‘ mitgenommen, da übt man das Sensenmähen auf ebenen Flächen im kurzen Gras.“ Die Arbeit hat ihm auf Anhieb gut gefallen, fährt der Nebenerwerbsbauer fort: „Für mich ist das Sensenmähen einfach entspannend und ich kann dabei gut abschalten. Ich mähe immer in der Früh, wenn es Tag wird, da ist es ganz ruhig und man hört nur das Geräusch der Schneide.“

Seit mehr als 15 Jahren unterrichtet Josef Ramsbacher den Gebrauch der Sense an der LFS Tamsweg und seine Schüler wissen: „Mit einer guten Schneid ist das Sensenmähen keine Kunst“. Die Rückmeldung der Schüler und Eltern ist sehr positiv, freut sich auch Direktor Rotschopf und erzählt, dass es auch immer wieder Schüler gibt, die bereits von ihren Eltern oder Großeltern gelernt haben, wie man mit der Sense umgeht. Er ist überzeugt, dass das Sensenmähen auch in Zeiten von Rasentrimmern noch seine Berechtigung hat und überdies schonender für die Tierwelt ist: „Wir wollen unsere Schüler animieren, dass sie zum Ausmähen von Zäunen oder von kleinen Flächen zur Sense greifen. Kleinstlebewesen wie Heuschrecken können sich vor der Sense in Sicherheit bringen, aber beim Trimmer haben sie keine Chance.“

Nicht nur beim Mähen mit der Sense, sondern auch beim traditionellen Holzzaunbau spielt das Praxiswissen eine wichtige Rolle. Im Rahmen von Workshops wird auch dieses alte Wissen an die Schüler weitergegeben.

Hans Fötschl ist in den 1970er-Jahren auf das „steirische Schulmagazin“ umgestiegen, eine Bienenstock-Variante, die innen und außen mit einer zwei Zentimeter dicken Styroporplatte isoliert ist. Seine Bienenbehausungen hat der gelernte Zimmerer alle selbst gebaut: „Die Bienenkästen sind einfache Holzkisten. Auf der Vorderseite lässt man einen Spalt, das sogenannte Flugloch, frei.“ Die Größe des Fluglochs kann je nach Bedarf verkleinert oder erweitert werden. Damit keine fremden Bienen in den Bienenstock gelangen, positionieren sich sogenannte Wächterinnen entweder vor oder direkt hinter dem Flugloch und kontrollieren, wer ein- und ausfliegt. Bringen fremde Bienen allerdings Honig mit, wird ihnen der Zutritt nicht verwehrt.

Lebendige Flurbegrenzungen

Holzzäune waren einst im Lungau als Flurbegrenzungen gleichsam bedeutsam wie typisch. „Das Wissen über die Lungauer Zaunarten und auch die Zeit für die Anfertigung fehlen heute aber teilweise“, so Direktor Rotschopf, „der Einfachheit halber wird dann ein Stacheldraht aufgezogen.“ Im Gegensatz zu Holzzäunen birgt ein Zaun aus Stacheldraht, wenn er zum Beispiel im Wald verrostet, für Menschen und Tiere große Verletzungsgefahr. Außerdem sind die alten Lungauer Zäune Teil der Volkskultur und sehen bei öffentlich einsichtigen Stellen schöner aus als ein Zaun aus Stacheldraht.

Rund um den schuleigenen Schau- und Streuobstgarten haben die Schüler alte Lungauer Zaunarten nachgebaut. An den Pilotenzaun, der im Lungau am häufigsten vorkommt, reihen sich ein Bänderzaun, ein Flechtzaun, ein Kreuzzaun, ein Steinzaun und ein Gåchtnzaun, erklärt Dipl.-Ing. Burgi Kaiser, Lehrerin an der Landwirtschaftlichen Fachschule (LFS) Tamsweg und treibende Kraft hinter dem Schulprojekt „Obstgarten“. Auch einen Girschtenzaun, der eigentlich im Pinzgau üblich ist, aber auch im Lungau vorkommt, gibt es zu sehen: „Der Girschtenzaun ist der teuerste und mit Abstand der aufwendigste. Die Lungauer Zäune sind einfacher zu bauen und auch günstiger“, erklärt Burgi Kaiser.

Rund um den Schau- und Streuobstgarten der LFS Tamsweg haben die Schüler alte Lungauer Zaunarten nachgebaut.

Der Arbeits- und Materialaufwand ist nicht bei allen Zaunbauweisen gleich: Die Steinmauer und der Kreuzzaun sind sozusagen „gratis“. Eine Steinmauer braucht allerdings viel Platz und ist deshalb nicht immer als Begrenzung geeignet. Beim Bau der Steinmauer orientierte sich Burgi Kaiser mit ihren Schülern an einer intakten Begrenzung in Göriach: „Die Steinmauer beim Hiasnhof ist schon uralt und steht noch immer – die hat uns als Vorbild gedient.“

Langsam nimmt die neue Steinmauer nach Vorbild der alten Steinbegrenzung beim Hiasnhof in Göriach Gestalt an. (Foto: Burgi Kaiser)

 

Den Kreuzzaun findet man nach wie vor noch oft auf Almen, denn das benötigte Fallholz kann man im Wald sammeln und dann einfach hineinstecken. Beim Bänderzaun hingegen benötigt man viel Material und das „Bänder-Paan“ erfordert einiges an Geschick. Burgi Kaiser: „Ich habe ewig lange nach jemandem gesucht, der dieses alte Handwerk noch beherrscht. Als ich es schon fast aufgegeben habe, bin ich auf Paul Schreilechner gestoßen.“ Der Mauterndorfer Paul Schreilechner hat schon als kleiner Bub beim Zäunen geholfen und ist selbst mit 86 Jahren noch immer aktiv. Der rüstige Senior erklärt: „Die Lungauer Zäune sind einfach zu bauen. Wenn man einmal den Dreh raushat, dann ist auch das ‚Bänder-Paan‘ keine Kunst mehr.“ Bei dieser speziellen Methode werden junge Äste durch Erhitzen biegsam gemacht und dann zu Bändern gedreht. Im Lungau verwendet man dafür Lärchenholz, in den anderen Gauen ist die Fichte üblich. „Die Lärche ist aber sicher haltbarer, wegen dem ‚Glorat‘, dem Pech“, meint der Experte.

Beim „Bänder-Paan“ werden junge Lärchenäste durch Erhitzen biegsam gemacht und dann zu Bändern gedreht. (Foto: Burgi Kaiser)

 

Die Bänder halten dann die „Zaunstempen“ zusammen. Weder Drähte noch Metallnägel sind nötig.

Eine Zaunart, die ebenso ohne Metallnägel auskommt, ist der Pilotenzaun. Dieser ist in der Herstellung einfacher als der Bänderzaun, erklärt Paul Schreilechner: „Einen Holznagel kann man immer machen, ‚Bänder-Paan‘ kann man nur im Frühjahr, wenn die Bäume im Saft stehen.“ Da allerdings nur mehr wenige Leute heute selbst Bänder machen können, sieht man den Pilotenzaun oft auch mit einer Drahtschlinge, ergänzt Burgi Kaiser.

 

Unter Anleitung von Paul Schreilechner stellen die Schüler Holznägel her.

 

Bauern- und Gemüsegärten grenzte man im Lungau meistens mit dem Gåchtnzaun ein. Der einzige Zaun, der genagelt ist: „Auf eine Latte werden die ‚Schwachtling‘ – die Rinden – oder das vorderste Ende vom Schleifholz von den Hecken genagelt“, erklärt Burgi Kaiser und fügt schmunzelnd hinzu: „Dicht war der Gåchtnzaun zwar nicht, aber solange die Hühner nicht durch sind…“ Dicht war dafür der Flechtzaun, bei dem zuerst Stecken eingeschlagen und dann Weiden oder Haseln hineingeflochten wurden: „Der Flechtzaun ist, neben der Steinmauer, einer der ältesten Zäune.“

Alle Zäune, die den schuleigenen Obstgarten umgeben, wurden aus Naturmaterialien gefertigt. „Es war uns ein besonderes Anliegen den Schülern zu zeigen, dass man auch mit minderwertigem Holz etwas Nachhaltiges und Beständiges bauen kann“. Und wenn schlechtes Holz aus dem Wald genommen wird, ist das auch für den Kreislauf der Natur gut, da die guten Bäume wieder mehr Licht bekommen. Diese Überlegung steht auch bei einer weiteren traditionellen Handwerkskunst im Mittelpunkt: Beim Besenbinden.

Besen aus Birkenreisig

Apropos Besenbinden: Die passende Jahreszeit, um das Material für einen handgefertigten Besen zu sammeln, ist der Spätherbst, weiß Josef Ramsbacher. „Wenn die Blätter abgefallen sind, dann sind die Zweige im richtigen Zustand“, erklärt er. Seiner Meinung nach liefert die Birke das beste Reisig, denn „das hält einfach am längsten“. Vorwiegend sind die handgefertigten Besen heutzutage zwar als Dekoelemente beliebt, aber gerade als Arbeitsgerät sind die Reisigbesen ideal: „Die Besen sind für den Stall und in der Tenne perfekt zum Kehren, weil das Heu nicht hängen bleibt.“ Außerdem sind sie als Straßenbesen gut zu gebrauchen.

Die Schüler der LFS Tamsweg mit ihren selbstgebundenen Reisig-Besen. (Foto von Josef Ramsbacher)

Josef Ramsbacher schafft es in einer Stunde, zwei bis drei Besen zu binden. Die Schüler helfen fleißig mit: Als erstes müssen nämlich die Zweige auf eine Länge von zirka vierzig Zentimeter gestutzt werden. Dann werden einzelne, gleich große Reisigbündel mittig zusammengebunden. Anschließend werden je vier Bündel nebeneinandergelegt und kreuzweise mit Draht zu einem großen Bund, dem Besenkopf, verbunden. Diesen beschwert Josef Ramsbacher mit einem Gewicht und lässt ihn für ein bis zwei Monate zum Trocknen liegen. „Man darf einen Besen nicht zu schnell trocknen“, mahnt er, „wenn man die Besen auf die Heizung legt, dann brechen die Zweige sofort. Sie müssen langsam und im Freien trocknen und starr werden.“

Nach ein paar Monaten ist der Besen flach und man kann den Stiel anbringen. „Eventuell muss man den Draht vorm Anschlagen noch einmal nachziehen, damit auch alles fest ist.“ Für den Besenstiel verwendet Josef Ramsbacher meistens Haselnussholz, denn die Haselnuss wächst in der Form sehr gerade. Das Besenbinden selbst ist eine typische Winterarbeit, dennoch sollte so ein handgefertigter Besen nur im Notfall als Weihnachtsgeschenk dienen, schmunzelt der Besenbinder: „Das kann schnell ins Auge gehen und der Sinn dahinter falsch verstanden werden. Mir ist es schon passiert, dass ich gefragt wurde, ob ich mit meinem Geschenk etwa andeuten will, dass Haus und Wohnung bzw. der ganze Hof eine gründliche Reinigung vertragen könnten.“

Text: Lisa Winter

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